Neue Besen kehren teurer
Brüssel und Berlin wollen das Monopol der Schornsteinfeger knacken:
Gleich waschkörbeweise landen Beschwerden jährlich im Stuttgarter Wirtschaftsministerium. »Besitzstandswahrer« und »Wegelagerer«, fluchen Hausbesitzer. »Das Monopol aus der Nazizeit muss weg« fordern Bürgerinitiativen. Es geht um den Berufsstand der Schornsteinfeger. Galten die schwarz gekleideten Gesellen jahrhundertelang vor allem als Glücksbringer, die vor Hausbrand schützten, sehen viele Deutsche ihre Dienstleistung heute als den Inbegriff der »Abzocke« an.

Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hatte es bereits auf die Schornsteinfeger abgesehen. Ihr Monopol bei der Überprüfung von Heizungsanlagen sollte als Beitrag zum Bürokratieabbau fallen. Momentan schweigt die Bundesregierung zu dem Thema. Doch bis zum Jahresende ist sie von der Wirtschaftsministerkonferenz aufgefordert, einen Reformvorschlag vorzulegen. Und aus Brüssel macht die EU-Kommission Druck. Sie hat wegen des Monopols gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Die Folgen einer Liberalisierung sind allerdings umstritten. Befürworter hoffen auf sinkende Preise für Kehrdienstleistungen und Abgasüberprüfungen, die bislang eben nur Schornsteinfeger ausführen dürfen. „Das System braucht mehr Wettbewerb. Dann strengt sich jeder an, um seine Kunden zu behalten“, sagt Edmund Ortwein, Referent im badenwürttembergischen Wirtschaftsministerium. Er hat ein Reformmodell ausgearbeitet, in dem es keine staatlich reglementierten Kehrbezirke mehr gibt. Ginge es nach ihm, müssten Kaminfeger mit Heizungsbauern konkurrieren, so dass sich ein Marktpreis bilden könnte. Einige Befürworter in Bund und Länder hat er bereits gefunden.
Gegner der Reform dagegen bezweifeln, dass die Arbeiten günstiger als bisher angeboten werden könnten. „Zu den heutigen Preisen gelingt es keinem rein privatwirtschaftlichen organisierten Unternehmen, Messungen vorzunehmen“, sagt der Gelsenkirchener Wärmetechnik-Professor Rudolf Rawe, der bereits vor 20 Jahren sein erstes Gutachten über die Arbeiten der Schornsteinfeger vorlegte.
Heute kündigt sich ein Bezirksschornsteinfeger mit kleinen Zetteln an der Haustür an. Was er im Haus macht, beobachten die wenigsten. Wohl auch deswegen finden viele Eigentümer die Arbeit nutzlos. Doch selbst in Zeiten fast russfreier Feuerungsanlagen sorgen Schornsteinfeger für mehr Sicherheit – allerdings nur noch selten mit dem alten Kehrbesen. „Eigensichere Anlagen gibt es nicht, und deshalb bleiben auch die Überprüfungsarbeiten notwendig“, sagt Christian Schmahl, Sprecher der Schornsteinfegerinnung, der seinen Kehrbezirk auf der Insel Sylt hat. Mit modernen Messgeräten spürt er Mängel an Heizungsanlagen auf, die im schlimmsten Fall tödlich sein können. Denn was bei der Verbrennung unter anderem ausströmt, ist giftig, unsichtbar und heißt Kohlenmonoxid. Das muss durch den Kamin raus und darf sich nicht in der Wohnung verbreiten.
In Frankreich liegen die Überprüfungen in der Eigenverantwortung der Wohnungsbesitzer – mit fatalen Konsequenzen. Obwohl Gesundheits- und Innenministerium seit drei Jahren mit erheblichen Aufwand den Eigentümern zu erklären versuchen, warum Wartung wichtig ist, sparen vor allem ärmere Haushalte an der falschen Stelle. Jährlich werden rund 6.000 Menschen mit einer Kohlenmonoxid- ergiftung behandelt, berichtet das französische Gesundheitsministerium. Für 300 Menschen ist sie sogar tödlich. In Deutschland dagegen sind kaum solche Fälle bekannt. Jede Normüberschreitung bei den Abgasen meldet der Schornsteinfeger, so dass ein Installateur die Mängel beheben kann.
Außerdem tragen die Kehrmeister auch zum Umweltschutz bei. Seit der Einführung des Gesetzes zum Immissionsschutz in den siebziger Jahren überprüfen sie die Effizienz von Heizungen und sammeln Daten für das Umweltbundesamt (UBA). Dort befürwortet man zwar eine Reform, die behutsam mehr Wettbewerb fördert. Doch der Aufwand dürfe nachher nicht größer sein als zuvor, sagt Joachim Abshagen, Fachgebietsleiter im UBA.
Will man Sicherheits- und Umweltstandards nicht gefährden, muss die Verpflichtung zur Überprüfung bleiben. In diesem Punkt sind sich so gut wie alle Reformer einig. Dass sowohl Kehrmeister als auch Heizungsinstallateure fremde Bezirke überprüfen dürfen, ist indes umstritten. „Überwachung und Wartung von Feuerungsanlagen sollten nicht in einer Hand liegen, um Interessenskonflikte zu vermeiden“; sagt der UBA-Mitarbeiter Abshagen. Schornsteinfeger sind nur dem Gesetz verpflichtet und müssen keine Wartungsaufträge heranziehen.
Bleibt das Preisargument, mit dem auch in der Schweiz eine Öffnung des Marktes begründet wurde. „Wenn ein Monopol aufgelöst wird, sinkt der Preis immer – sofern der Staat nicht wieder etwas draufpackt wie mit der Stromsteuer“, meint Edmund Ortwein vom Stuttgarter Ministerium. Im Schweizer Kanton Zürich bewahrheitet sich das jedoch nicht. Dort können Hauseigentümer seit Anfang 2003 ihre Handwerker frei wählen. Anders als erwünscht, stiegen die Preise sogar: um bis zu 30 Prozent. Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Überprüfen die Handwerker nicht mehr Haus für Haus in den ihnen zugeteilten Bezirken, machen mehr Organisation und längere Wegezeiten die Arbeiten teurer. In den Kantonen Bern und Luzern verzichtet man nach diesen Erfahrungen darauf, das System zu deregulieren. Skandinavische Schornsteinfeger sind sogar Angestellte der Kommunen.
Und die Abmahnung aus Brüssel? Die EU-Kommission kritisiert, dass die Kehrbezirke nicht europaweit ausgeschrieben werden. Sie sieht darin eine Diskriminierung ausländischer Kaminfeger. Das EU-Verfahren sei aber nur auf die Dienstleistungsfreiheit bezogen, antwortete der scheidende Binnenmarktkommissar Bolkestein auf Anfrage eines deutschen Europaabgeordneten. Gegen die Kehrbezirke wendet er sich nicht. Deswegen könne die Bundesregierung dem Verfahren auch ganz einfach ausweichen, glaubt der Parlamentarier Joachim Wuermeling von der CSU. Sie müsse nur auf Artikel 45 des Amsterdamer Vertrages hinweisen, um den deutschen Schornsteinfegern zu helfen. Dieser Artikel sehe Ausnahmen von den europäischen Binnenmarktregelungen vor, wenn es sich um öffentliche Aufgaben handele, sagt Wuermeling. Wie etwa Sicherheit oder Umweltschutz. Dass die Regierung sich so passiv verhält, wertet er als Kalkül: Sie verstecke sich hinter der EU-Kommission, um einen Grund für eine Reform zu haben – die Brüssel aber gar nicht verlangt.
Im Bundeswirtschaftsministerium in Bonn wolle man zurzeit zu diesem Thema nicht äußern, erklärt Roland Schulze, der zuständige Referatsleiter. Rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr kosten die Bundesbürger derzeit die Dienste der rußigen Gesellen. „Das sollte uns die Sicherheit in Deutschland wert sein“, meint Professor Rawe von der FH Gelsenkirchen.
Und die meister der 18.000 deutschen Schornsteinfeger sind moderaten Reformen gegenüber sogar durchaus aufgeschlossen. „Wenn der Staat beispielsweise sagt, dass die Messintervalle verlängert werden müssen, sind wir einverstanden, solange es technisch vertretbar ist“, sagt Christian Schmahl, der Schornsteinfeger von Sylt. Selbst auf eine Vergabe der Kehrbezirke auf Lebenszeit können er und seine Kollegen verzichten.
aus: Die Zeit vom 25.11.2004
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